Schwerpunktthema 2015 bis 2017

Glaube, Freiheit, Verantwortung - Umbruch und Perspektiven

"Glaube, Freiheit, Verantwortung - Umbruch und Perspektiven" ist das übergreifende Schwerpunktthema des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer für die Jahre 2015 bis 2017 - und damit Orientierung und Leitlinie für die inhaltliche Ausrichtung unserer Arbeit. Auf der Rüstzeit der Sprecher, Mitglieder der Leitungskreise und Theologischen Berater der regionalen Arbeitsgruppen mit dem Vorstand am 13. und 14. März 2015 in Arnoldshain wurde das Schwerpunktthema "Glaube, Freiheit, Verantwortung - Umbruch und Perspektiven" gemeinsam erarbeitet und verabschiedet.

Das Schwerpunktthema "Glaube, Freiheit, Verantwortung - Umbruch und Perspektiven" baut auf dem Leitwort des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer "protestantisch verantwortlich handeln" auf und entfaltet die Idee dieses "claims" weiter. Unternehmerisch handeln in evangelischer Verantwortung setzt Freiräume voraus, in denen Unternehmer "als wirkende Akteure Alternativen schaffen, diese Alternativen bewerten und zwischen ihnen entscheiden und letztlich handeln" (Dr. Hans-Jürgen Leuchs). Mithin: Ohne die Freiheit zum Urteilen, Entscheiden und gestaltenden Handeln bleibt lediglich Raum für Gehorsam und Pflichterfüllung. In diesem Sinne hat Theodor Storm (1817-1888) in seinem Spruch über die Freiheit festgestellt:

Der eine fragt: Was kommt danach?
Der andre fragt nur: Ist es recht?
Und also unterscheidet sich
der Freie von dem Knecht.

Bei der Formulierung des Schwerpunktthemas "Glaube, Freiheit, Verantwortung" war und ist der biblische Auftrag zur rechten Freiheit "Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und laßt euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!" (Galater 5, 1) leitend. Diese uns aus Gnade geschenkte Freiheit ist immer gebundene Freiheit. Aus der reformatorischen Tradition folgt: "Weil die Menschen in Jesus Christus bereits erlöst sind, brauchen sie sich in ihrer Lebens- und Weltgestaltung nicht selbst zu erlösen. Das befreit zu einem Handeln, das nicht länger der Sorge um sich selbst und der Absicherung durch Macht verpflichtet ist, sondern den Anforderungen der Sache und dem gegenseitigen Dienst." (Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" 1997, RZ 94)

Das Rahmenthema "Gaube, Freiheit, Verantwortung - Umbruch und Perspektiven" beziehen wir auf folgende konkrete Umbruchsituationen:

Anlaß 2015:70 Jahre Denkschrift des Freiburger Bonhoeffer-Kreises
Neuorientierung und Neuanfang 1945 / "Stunde Null" / Soziale Marktwirtschaft
Anlaß 2016:50 Jahre Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer
Umbrüche in Gesellschaft und Kirche 1966ff. / Gründung des AEU
Anlaß 2017:500 Jahre Reformation
epochaler Wandel / Reformation(sjubiläum) und Wirtschaft

Gemeinsames und verbindendes Element dieser drei historischen Anlässe ist jeweils eine gesellschaftliche und politische Umbruchsituation. Die Suche nach neuen Formen des Zusammenlebens bzw. die Suche nach einer neuen Ordnung führt jeweils zu einer "Dynamik in der Geschichte" (Professor Dr. Klaus Tanner). In allen Umbruchsituationen wurde jeweils die Rolle des Individuums gegenüber der Gesellschaft neu definiert bzw. austariert ("personale Dimension" versus "strukturelle Dimension").

Anlaß 2015: 70 Jahre Denkschrift des Freiburger Bonhoeffer-Kreises

Der Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer hat im Jahr 2015 an die Veröffentlichung der Denkschrift des Freiburger Bonhoeffer-Kreises im Sommer 1945 erinnert. Anläßlich des in der Öffentlichkeit nur wenig beachteten Jubiläums dokumentiert der Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer in seiner Publikation "70 Jahre Denkschrift des Freiburger Bonhoeffer-Kreises" den für die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft belangreichen Anhang 4 (Wirtschafts- und Sozialordnung) der Denkschrift im Wortlaut. Zwei ergänzende Beiträge skizzieren die protestantischen Ursprungslinien bzw. würdigen das Wirken des Freiburger Bonhoeffer-Kreises für die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft. (Pressemitteilung)

Die Publikation "70 Jahre Denkschrift des Freiburger Bonhoeffer-Kreises" (2015, 80 Seiten, broschiert) steht auf unserer Internetseite zum Download zur Verfügung. (Einführung)

  • Worauf es uns ankommen muß, ist: eine Wirtschaftsordnung vorzuschlagen, die - neben ihren sachlichen Zweckmäßigkeiten - den denkbar stärksten Widerstand gegen die Macht der Sünde ermöglicht, in der die Kirche Raum für ihre eigentlichen Aufgaben behält und es den Wirtschaftenden nicht unmöglich gemacht oder systematisch erschwert wird, ein Leben evangelischer Christen zu führen. (Vorwort)
  • Die Gebote des Herrn richten sich nicht nur an die einzelnen Menschen, …. Sie gelten auch für die Gemeinschaften des Lebens und Schaffens, für den Inhalt der sie bestimmenden Ordnungen. Die Kirche muß daher auch zur Wirtschaftsordnung Stellung nehmen. (I. Kirchliche Grundlegung)
  • In ihrer Stellungnahme zur Wirtschaftsordnung muß die Kirche von Christus zeugen. Sie dient damit der Befreiung von allen weltlichen Heilslehren. (I. Kirchliche Grundlegung)
  • Was die Kirche nicht selbst zur Wirtschaftsordnung zu sagen berufen ist, hat sie den christlichen Laien zu überlassen. (I. Kirchliche Grundlegung)
  • Zur richtigen Bestimmung der Wirtschaftsordnung müssen die Menschen so genommen werden wie sie sind; …. Sowohl der Eigennutz des Menschen wie seine Bereitschaft, zum Besten der eigenen Familie zu wirken, können durch einen geordneten Wettbewerb zur Förderung des Gesamtwohles nutzbar gemacht werden. (II. Sachnotwendige Grundsätze des Wirtschaftslebens und seiner Ordnung)
  • … Wo keine klare und geordnete Haushaltsführung getrieben wird, drohen Erschütterungen und Elend. (II. Sachnotwendige Grundsätze des Wirtschaftslebens und seiner Ordnung)
  • Eine auf weiteres Vorantreiben zentraler Leitung gerichtete und damit auf Vollendung des Kollektivismus hinauslaufende Wirtschaftspolitik ist abzulehnen; denn sie würde weder die bevorstehenden wirtschaftlichen Aufgaben meistern noch den sittlichen Anforderungen entsprechen. (IV. Grundlinien neuer Ordnung)
  • Die zu verwirklichenden Ordnungsgrundsätze sollen den auf Leistung, d. h. auf Dienst an der Gesamtwirtschaft berufenen Wettbewerb zur Geltung bringen. In allen dafür geeigneten Wirtschaftsbereichen sollen diese Grundsätze sich "automatisch" auswirken, soll also die Ordnung auf Selbstverantwortlichkeit der Einzelwirtschaften beruhen, sollen Markt- und Preisfreiheit herrschen. (IV. Grundlinien neuer Ordnung)

Politische Gemeinschaftsordnung. Ein Versuch zur Selbstbesinnung des christlichen Gewissens in den politischen Nöten unserer Zeit. (Anhang 4: Wirtschafts- und Sozialordnung), in: 70 Jahre Denkschrift des Freiburger Bonhoeffer-Kreises, Karlsruhe 2015.

Den für die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft belangreichen "Anhang 4: Wirtschafts- und Sozialordnung" dokumentieren wir auf unserer Seite Denkschrift des Freiburger Bonhoeffer-Kreises als HTML-Text sowie die Originalseiten des Typoskripts aus dem Besitz von Professor Dr. Adolf Lampe.

Anlaß 2016: 50 Jahre Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer

Das Jahr 2016 markiert das 50. Gründungsjubiläum des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer: 9. März 1966 gründete Dr. Walter Bauer - in einer gesellschaftlichen und politischen Umbruchsituation - gemeinsam mit 19 weiteren evangelischen Unternehmerpersönlichkeiten in Frankfurt am Main den Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer.

Dr. Walter Bauer, 1901 in Heilbronn geboren und in einer im Pietismus verwurzelten Familie aufgewachsen, war "ein von Max Weber geprägter, liberaler Demokrat und Unternehmer aus Leidenschaft" (Theodor Eschenburg zum 60. Geburtstag von Dr. Walter Bauer). Er war aktives Mitglied der Bekennenden Kirche und arbeitete als einziger Unternehmer gemeinsam mit Hochschullehrern und Theologen an der für die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft belangreichen Denkschrift des Freiburger Bonhoeffer-Kreises mit. Nach dem Krieg übernahm der erfolgreiche Textilunternehmer zahlreiche unternehmerische Mandate und engagierte sich insbesondere in den Leitungsgremien der Evangelischen Kirche in Deutschland (seit 1949 Synode, Kammern für öffentliche Verantwortung und soziale Ordnung, ab 1967 im Rat).

Die Aufforderung "Was die Kirche nicht selbst zur Wirtschaftsordnung zu sagen berufen ist, hat sie den christlichen Laien zu überlassen." im Anhang 4 (I. Kirchliche Grundlegung) zur Denkschrift des Freiburger Bonhoeffer-Kreises war 1966 und ist bis heute Motivation für ein Engagement in und für unseren Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer. (Den für die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft belangreichen "Anhang 4: Wirtschafts- und Sozialordnung" dokumentieren wir auf unserer Seite Denkschrift des Freiburger Bonhoeffer-Kreises als HTML-Text sowie die Originalseiten des Typoskripts aus dem Besitz von Professor Dr. Adolf Lampe.)

Anläßlich seines 50. Gründungsjubiläums richtete der Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer unter dem Motto "Unternehmerische Freiheit und unternehmerische Verantwortung im 21. Jahrhundert" am 14. September 2016 in der Heilig-Geist-Kirche in Frankfurt am Main eine Festveranstaltung aus.

Zum Auftakt setzte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Professor Dr. Heinrich Bedford-Strom, mit seinem Vortrag "Glaube, Freiheit, Verantwortung - ein evangelischer Dreischritt" einen inhaltlichen Akzent. In seinem Festvortrag "Rechtsstaat, Demokratie und Soziale Marktwirtschaft" lenkte Professor Dr. Dr. Udo Di Fabio, ehemaliger Richter des Bundesverfassungsgerichts, den Blick auf die Grundlagen und Gefährdungen unserer Freiheit.

Eine vom Stv. Vorsitzenden des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer, Friedhelm Wachs, moderierte Podiumsdiskussion mit Dr. Kurt Bock, Vorsitzender des Vorstandes der BASF SE, und Dr.-Ing. E. h. Peter Leibinger, Stv. Vorsitzender der Geschäftsführung der TRUMPF GmbH + Co. KG und Vorsitzender des Geschäftsbereiches Lasertechnik/Elektronik, sowie Professor Dr. Andreas Pinkwart, Rektor der HHL Leipzig Graduate School of Management und Inhaber des Lehrstuhls für Innovationsmanagement und Entrepreneurship der HHL, beleuchtete Herausforderungen und Perspektiven der verantwortungsbewußten Wahrnehmung unternehmerischer Freiheit.

Im Rahmen dieser Festveranstaltung wurde Franz Liszts musikalisches Spätwerk "Via Crucis" aufgeführt und durch eine Bildprojektion visualisiert.Die künstlerische und organisatorische Gesamtleitung der musikalisch-performativen Video-Installation zum Kreuzweg Jesu lag in den Händen des Event- und Kulturmanagers Jan Stephan Hillebrand, Hamburg. Mit seinen Unternehmen Tristan Beratungsgesellschaft mbH und Tristan Theater und Film GmbH realisierte er die Aufführung von Franz Liszts Werk "Via Crucis - Die 14 Stationen des Kreuzwegs für gemischten Chor, Solisten und Orgel". Neben dem Ensemble Chordial Mainz unter der Leitung von Daniel Rumpf sowie den Solisten Barbara Zechmeister (Sopran), Birgit Schmickler (Alt), Aljoscha Lennert (Tenor) und Johannes Wilhelmi (Baß) gehörte auch AEU-Mitglied Christian Treumann, Erfurt, als Organist zu den Ausführenden.

Die 14 Stationen der "Via Crucis" (Kreuzweg) wurden auf 14 überdimensionalen kreuzförmigen Leinwänden mit verschiedenen Videoclips zur Musik von Franz Liszt dargestellt. Den roten Faden für diese Video-Installation bildete das Buch "Gesät ist die Hoffnung - 14 Begegnungen auf dem Kreuzweg Jesu" von Professorin Dr. Dr. h.c. Margot Käßmann, Botschafterin des Rates der EKD für das Reformationsjubiläum 2017, dessen Inhalt die Künstler Denislav Kanev und Zachary Chant, De-Da Productions, aus ihrer persönlichen Perspektive visualisiert haben. "All die Menschen, denen Jesus auf dem Kreuzweg begegnet, stehen beispielhaft für Menschen überhaupt: die Ängstlichen und die Habgierigen, die Liebenden und die Gleichgültigen", so Professorin Dr. Dr. h.c. Margot Käßmann. "Auch die protestantischen Unternehmer begegnen in ihrer täglichen Arbeit vielen verschiedenen Menschen mit ihren ganz unterschiedlichen Bedürfnissen. Der Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer bietet ihnen seit jeher ein wichtiges Austauschforum und bringt seit 50 Jahren seinen wirtschaftlichen Sachverstand zum Wohle unserer Kirche ein."

Die Ur-Urenkelin von Franz Liszt, Professor Dr. Nike Wagner, Intendantin und Geschäftsführerin des Beethoven-Festes Bonn, führte in das Werk ein. "Franz Liszt verkörperte viele Rollen. Er war tief religiös und zugleich gefeierter Virtuose und Kosmopolit", erläuterte Professor Dr. Nike Wagner. "Das zeigt: Man kann sowohl gläubiger Christ als auch Mann der Zukunft sein - damals und heute, wie es viele Unternehmer im Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer sind."

Die Vorträge und Grußworte anläßlich der Festveranstaltung am 14. September 2017 sind im Jahresbericht 2016 dokumentiert.

Dr. Peter F. Barrenstein (Clip 2:37) 
Professor Dr. Dr. Udo Di Fabio (Clip 2:29 | Video 44:53) 
Ratsvorsitzender Professor Dr. Heinrich Bedford-Strohm (Clip 2:31) 
Programmheft zur Festveranstaltung 
  

Anlaß 2017: 500 Jahre Reformation - Reformationsjubiläum und Wirtschaft

Im Jahr 2017 nehmen die Begegnungen und Veranstaltungen des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer anläßlich des Reformationsjubiläums insbesondere Martin Luthers reformatorisches Verständnis von Arbeit und Beruf in den Blick. Mit unserer Beteiligung am Kongreß christlicher Führungskräfte vom 23. bis 25. Februar 2017 in Nürnberg, dem AEU-Forum vom 28. bis 30. April 2017 in Eisenach, unserem Empfang am 26. Mai 2017 in Berlin anläßlich des 36. Deutschen Evangelischen Kirchentages sowie dem traditionellen Jahresempfang in Frankfurt am Main mit Bischöfin Kirsten Fehrs am 20. September 2017 schließen wir das Rahmenthema 2015 bis 2017 "Glaube, Freiheit, Verantwortung - Umbruch und Perspektiven" ab.

Im zeitlichen Zusammenhang mit dem 36. Deutscher Evangelischer Kirchentag 2017 vom 24. bis 28. Mai 2017 in Berlin und Wittenberg setzte sich die WirtschaftsWoche mit einem Schwerpunktheft zum Reformationsjubiläum mit dem Wirken Martin Luthers auseinander. Aus diesem Anlaß veröffentlichte die Wirtschaftswoche am 26. Mai 2017 auf ihrer Internetseite ein Interview mit Friedhelm Wachs, Geschäftsführender Gesellschafter der Wachsonian GmbH und Stv. Vorsitzender des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer in Deutschland e. V. (AEU).

"Ich kann mir mein Seelenheil nicht durch Ablass erkaufen"

Der evangelische Unternehmer Friedhelm Wachs über Martin Luthers Geldkritik, Arbeit als Gottesdienst - und die Vereinbarkeit von Kapitalismus und christlicher Liebesbotschaft.

  • Deutschland feiert 500 Jahre Reformation und das Wirken Martin Luthers. Aus Sicht der Wirtschaft stellt sich die Frage: Ein "christlicher Unternehmer" sein, "protestantisch verantwortlich handeln" oder "mit Luther wirtschaften" – geht das überhaupt?

    Das geht perfekt. Unsere Soziale Marktwirtschaft basiert auf den ethischen Grundlagen und den ordnungspolitischen Prinzipien des Freiburger Bonhoeffer-Kreises. Bonhoeffer dürfte als Theologe über jeden Zweifel erhaben sein. 1942 erarbeitete der von ihm inspirierte Kreis eine Wirtschafts- und Sozialordnung im Auftrag der Bekennenden Kirche für die Zeit nach Adolf Hitlers Terrorherrschaft, die auch heute, bald 75 Jahre nach ihrer Formulierung an Aktualität nichts eingebüßt hat. Diese Arbeit war mit der nationalsozialistischen Todesstrafe bedroht. Sie ist also kein leichtfertig dahergeredetes Theoriespiel gewesen. Der Kreis machte sich keine Illusion über den menschlichen Charakter und ein Zusammenleben mit Nichtchristen. Ziel war deshalb: "eine Wirtschaftsordnung vorzuschlagen, die - neben ihren sachlichen Zweckmäßigkeiten - den denkbar stärksten Widerstand gegen die Macht der Sünde ermöglicht, in der die Kirche Raum für ihre eigentlichen Aufgaben behält und es den Wirtschaftenden nicht unmöglich gemacht oder systematisch erschwert wird, ein Leben evangelischer Christen zu führen." Das Ergebnis ist die Soziale Marktwirtschaft. In dieser Wirtschaftsordnung sind christliche Unternehmer ein zwingender Bestandteil.
  • Was unterscheidet einen christlichen Unternehmer von einem "ehrbaren Kaufmann"?

    Gehen wir auf den Kern: Wenn wir das heutige Bild des ehrbaren Kaufmanns in den Blick nehmen, hält dieser Maß, weil er Angst vor den Konsequenzen anderer Menschen hat oder sich einen Vorteil von seinem Wohlverhalten verspricht. Der christliche Unternehmer hält Maß, weil er sich an der christlichen Botschaft orientiert und seine persönliche Verantwortung vor Gott sieht. Im Handeln kann beides gleich aussehen, die Grundlage unterscheidet sich aber fundamental. Der irdische Nutzen heute treibt den ehrbaren Kaufmann, das göttliche Heil den christlichen Unternehmer. Im Kern heißt das: Freiheit und Verantwortung gehören für den Protestanten zusammen, weil er sich jeweils allein und individuell vor Gott verantworten muß und gleichzeitig frei ist, weil Jesus die Schuld des Sünders tilgt. In Luthers Sprache hieß das 1520 in seiner Schrift von der "Freiheit eines Christenmenschen": "Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan."
  • Von Milton Friedman stammt der schöne Satz: The business of business is business. Das wirft die Frage auf: Warum überhaupt sollen Unternehmen einen moralischen Überschuss produzieren?

    Es geht nicht um Moral, sondern um zwei Grundfragen. Die eine heißt: Wofür überhaupt Business? Die Grundlage von "Business" ist der Mensch. Auch hochentwickelte Tiere haben Austausch, aber kein Business. Maschinen haben per se höchstens einen Hang zur Optimierung, aber nicht zu Business. Business funktioniert also nicht ohne den Menschen, woraus zu folgern ist, dass Business, das nicht dem Menschen dient, kein Business ist. Die zweite Grundfrage lautet: Was dient dem Menschen? Und hier lautet die globale Antwort: alles was ihm das Leben erleichtert oder erhält, woraus dann auch der Erhalt der Lebensgrundlagen und damit Fragen der Nachhaltigkeit abgedeckt wären.
  • Aber hat nicht ausgerechnet der streng bibeltreue Luther darauf beharrt, dass die Liebesbotschaft des Evangeliums sich prinzipiell nicht mit dem Kapitalismus verträgt?

    Nein, hat er nicht. Luther hat in einer mittelalterlichen Gesellschaft mit ständischer Struktur gelebt und den Begriff Kapitalismus noch gar nicht gekannt. Er hat gegen die Ausnutzung von Zwangslagen, den Wucher, gewettert, der in den meisten Rechtsordnungen bis heute verboten ist.
    Luther hat dagegen gewettert, unser Herz an das Geld zu hängen, weil "das, woran Du Dein Herz hängst, Dein Gott ist". Er hat mit seiner Erkenntnis, dass Freiheit und Verantwortung unmittelbar zusammenhängen, weil wir zur Freiheit befreit sind und gleichzeitig uns vor Gott direkt verantworten müssen, eine Grundregel geschaffen, die Kern einer funktionierenden Marktwirtschaft ist: Haftung. Ohne Frage gibt es in unserer Welt Gier, Neid, Freiheitsberaubung und die Versuchung, immer wieder Grenzen und Gesetze zu umgehen, um einen persönlichen Vorteil zu erzielen. Das ist kriminell und weder kapitalistisch noch christlich.
  • Dennoch: "Höchst geschäftig" soll ein Christ nicht im Wirtschaftsleben, sondern allein in seiner "Liebe zu den Nächsten" sein, so Luther …

    Weshalb Luther Arbeit per se zu Gottesdienst erklärt hat. Jedwedes Wirken des Menschen an seinem Platz, auch an seinem Arbeitsplatz ist Gottesdienst. Er brachte das Beispiel von der Magd und dem Fürsten, deren Arbeit gleichwertig ist; heute passt das Beispiel der Supermarktkassiererin und der Führungskraft im Unternehmen. Luthers Frau Katharina war eine sehr begabte Unternehmerin und Jesu Jünger waren allesamt Unternehmer, nämlich Handwerker und Fischer. Luther geht es - wie Christen heute auch - um den Menschen. Der steht im Mittelpunkt.
  • Gibt es so etwas wie einen "protestantischen Geist" des Kapitalismus, eine verinnerlichte Arbeitsmoral, die mit Luther – und Calvin – in die Welt kam?

    Verschiedene Studien belegen diesen protestantischen Geist und seine Auswirkungen. In protestantisch geprägten Gebieten wird statistisch mehr und länger gearbeitet, gibt es mehr Unternehmer und mehr individuellen Reichtum. Der Grund ist: Freiheit und Verantwortung hängen zusammen. Ich kann mir mein Seelenheil nicht durch Ablass erkaufen. Luther wettert beispielsweise gegen den nutzlosen Prunk und Protz des Klerus. Da auch die Arbeit Gottesdienst ist, arbeitet der Protestant, um ein gottgefälliges Leben zu führen und nicht um Prunk und Protz anzusammeln. Er reinvestiert den Gewinn, statt ihn zu verprassen. Im Unterschied zu Calvin sieht der Lutheraner in seinem nominellen Reichtum jedoch keinen Weg, einen besseren Platz im Himmel zu ergattern, kein Zeichen für Gottes Segen.

Dieses Interview veröffentlichte die WirtschaftsWoche am 26. Mai 2017 auf ihrer Internetseite. Auf die Fragen der WirtschaftsWoche antwortete Friedhelm Wachs, Geschäftsführender Gesellschafter der Wachsonian GmbH und Stv. Vorsitzender des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer in Deutschland e. V. (AEU).